Wir fahren Auto. Es ist András‘ Auto, und ich fahre‘s nur. Seit anderthalb Tagen sind wir unterwegs. Ich bin totmüde. Ich gönne mir keinen Schlaf und mein Mitfahrer will nicht schlafen. Er denkt, wenn er einschlafen würde, dan würde Ich ihn betrügen. So denkt er. Was er unter Betrug meint, dass ich zum Beispel auf die Autobahn will, um schnell nach Berlin zu kommen. Und er wird nichsts schnell, alles langsam, vorsichtig, inbrünstig beobachten, begutachten, analysieren, verstehen, einen Audit um die Umgebung durchführen, unter Drogeneinfluß. Damit nichts versteckt bleiben kann in den Windungen des anderen Gehirns. Rauchen und einen beobachten. In seinen Kopfschauen. Seine Gedanken lesen. Er will ganz langsam ankommen. Wenn man langsam kommt, kann man sicher gehen, dass man ganz da ist im Geist und Körper. Wir fahren ausschließlich über kleinen Straßen, manche so eng, dass zwei Autos nur ganz vorsichtig einander vorbeifahren können, ohne einander zu berühren, plus kein anderes Fahrzeug anzuschrammen, bloß in nicht einen Unfall verwickelt werden. Was ich lenke, ist ein feuerrote Granada, das András tagelange Kleinarbeit für sich für die Reise fertiggestellt hat. Das Auto ist weder versichert, noch angemeldet. Eher zufällig als nach langer Überlegung hat Andás aus seiner Rumpelkiste ein Paar zueinanderpassende Autokennzeichen ausgesucht und an das Auto geschraubt, weil Autos mit Kennzeichen weniger auffallen als ohne. So sind wir über zwei Tage unterwegs und sprechen ganz wenig miteinander, genauer er spricht in einem Fort und Ich höhre ihn zu. András wollte vor der Abfahrt ziemlich lange einen kleinen Blootothlautsprecher von jemandem ausborgen fürdie Reise, damit wir Musik unterwegs hören können, laute Musik, Zigeunermusik, Weltmusik, afrikanische Musik, Nina Simone- und Alifarka Tourémusik von Kordofan, Hauptsache — dass die Lieder den lauten Motorlärm übertönen. Aber nicht, dass András etwas gegen Motorlärm hätte, im Gegenteil: er liebt den Lärm drönender Motoren, hauptsächlich vom Viertaktmotorrädern, die machen Musik. 

Dein IPhone hört sich besser an als Lautsprecher, als Ich je gedacht hatte, – sagt er. Und dann hören wir Musik, und dann schweigen wir wieder. 

„Was hältst du von diesen Selensky? – fragt er, – verstehst du ihn? Weil ich ihn gar nicht verstehen kann. Er sollte doch für seine Mitbürger eher wie ein Vater sein, ein um sene Kinder besorgter Landesvater sein und nicht wie er tut wie eine Schlachtruftrompete.  Mit welchem Recht verlangt er Leid un Blut, Entbehrung von seinem Volk? Er ruft zur Verteidigung des Vaterlandes auf bis zum letzten Mann, bis zum letzten Blutstropfen. Mit welchem Recht tut er das? Anstelle zum Trotz von Schmerz und Tod die Empfehlung zu geben als Landesherr: jeder rette sich wie er das kann! Jeder soll sich Zuflucht suchen in der Ferne, wo diese schicksalsgeprüfte Leute aufgenommen werden können, wenn die Alternativen der Liqidierung oder dass zum Russenwerden nicht gefällt. Ich weiss, dass du ein leidenschaftlicher Putinhasser bist, dass du ihn für Teufel hältst, dessen einziger Zweck es ist die Welt mit Leid und Qualen zu überziehen, ob es Russen, Ukrainer oder Finnen, oder Fidjis es sind. Du bist davon überzeugt, dass er eine makabre, faustische Figur sei. Ich ihn aber gut verstehe. Was will er eigentlich in der Ukraine? Er will ein einmal schon früher von den Herrenvolk der Russen und ihrer Leitkultur überzeugte, koronisierte Nation wieder an die Kandare nehmen, wo es hingehört, näher nicht. Und hierzu hat er den Willen und die Männer und die Macht, also warum sollte er es nicht machen, wenn es ihm Spass macht? Und du? 

Und die anderen, die die blaugelbe Fahne jener Renegatenostslawen in ihre Fenster hängen oder an ihr Facebookprofil setzen? Warum mischst du dich ein in den Konflikt anderer? Wenn ein grosser herrlicher Löwe mit buschiger Mähne und fletschenden Zähnen eine zarte, angstvolle Antilope unten am Fluß stellt und mit einem Schlag seiner Pfote erlegt, mischst dich bei ihm auch ein und würdest du mit deiner Knarre das herrliche Königstier davonscheuchen? Sicherlich nicht. Du magst bloß Prüde und Bigott sein, aber verrückt bist du sicherlich nicht. Lass die Natur walten, wir selber stammen aus der Tierwelt, warum sollten wir uns nicht zu unserem Ursprung bekennen? Wenn jemand bei dir einbricht, stellst du dich dem Einbrecher in den Weg etwa, anstelle dein Leben zu retten und fliehen so schnell es nur geht? Wirst du dem Einbrecher zuvor nicht lieber alles geben, was er nur tragen kann? Oder wirst du ihn deinen Platz anbieten, falls er sich bei dir Häuslich einrichten möchte?“

Ich blieb stumm, ich konnte dieser Augustinischen Rede nichts entgegnen und knurrte etwas unverständliches in meinen Bart hinein: Ja! Du hast Recht. Ich mag womöglich etwas altmodisch sein, weil Ich merkte plötzlich, dass Ich es schon wieder vergaß die Gangschaltung zu bedienen. Wir fuhren weiter, tiefer hinein in die Polnische Winternacht.

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